Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
3,5
gut
Fast & Furious 9
Die Asphalt-Avengers
Von Christoph Petersen
Bei „Critters“ passierte es schon im vierten Film, bei „Freitag, der 13.“ hat es hingegen bis zum zehnten und bei „James Bond“ sogar bis zum elften Teil gedauert. Aber irgendwann verschlägt es offenbar jede langlaufende Filmreihe mal ins Weltall – und bei „Fast & Furious“ ist es jetzt eben auch soweit: Reihen-RückkehrerJustin Lin („Star Trek Beyond“), der dem Franchise mit den Teilen 4 bis 6 überhaupt erst seine aktuelle Identität als Quasi-Superhelden-Blockbuster verpasst hat, pfeift in „Fast & Furious 9“ endgültig auf jede Bodenhaftung – und verabschiedet sich dabei für eine Handvoll Szenen folgerichtig gleich ganz von unserem Planeten.
Wer also in den Vorgängern schon damit gehadert hat, dass die Action mit den allgemeingültig geglaubten Gesetzen der Physik nur noch wenig zu tun hat, dürfte in „Fast & Furious 9“ endgültig aus der Kurve fliegen. Aber wer sich drauf einlässt, dass die Reihe eben längst nicht mehr in einer Liga mit Auto-Action wie „Bullit“ oder „Nur 60 Sekunden“ spielt, sondern zunehmend eher in Richtung „Avengers 4: Endgame“ & Co. schielt, der wird auch diesmal wieder eine Menge Spaß haben. Wobei die Parallelen zum Marvel Cinematic Universe nicht bei den Quasi-Superkräften der Protagonisten und ihrer Boliden enden, sondern auch die Zahl angehäufter Figuren, den ausgeprägten Fanservice sowie die Rückbezüge auf frühere Serienteile betreffen – und gerade diese Elemente bremsen „Fast & Furious 9“ zwischendrin leider immer wieder auf ein mit der Straßenverkehrsordnung kompatibles Maß herunter.
Bei so viel Testosteron in der Familie ist es ja kein Wunder, dass sich die Toretto-Brüder andauernd in die Haare kriegen.
Dominic Toretto (Vin Diesel) hat sich inzwischen mit Letty (Michelle Rodriguez) und seinem kleinen Sohn auf eine abgelegene Farm zurückgezogen. Er will vor allem ein guter Vater sein und hat dem hochtourigen Leben als Rennfahrer / Gangster / Agent den Rücken gekehrt. Aber dann tauchen plötzlich Roman (Tyrese Gibson), Ramsey (Nathalie Emmanuel) und Tej (Ludacris) mit einer Nachricht von Mr. Nobody (Kurt Russell) auf, der mit seiner Militärmaschine nicht nur mitten im Dschungel abgestürzt ist, sondern dabei auch noch die eine Hälfte einer Superwaffe im Gepäck hatte, mit der sich die gesamte Welt von einer Sekunde auf die andere unterjochen ließe.
Dom lässt sich trotzdem erst breitschlagen, an der Rettungsaktion teilzunehmen, als er im Hintergrund des Hilferuf-Videos einen Kreuz-Anhänger erspäht – und bei der anschließenden Verfolgungsjagd durch den Dschungel trifft er auch direkt auf den Träger: Doms Bruder Jacob (John Cena) ist vor vielen Jahren spurlos verschwunden und arbeitet nun für den verzogenen Milliardärs-Sprössling Otto (Thue Ersted Rasmussen), der auch schon die Superverbrecherin Cypher (Charlize Theron) in einen Glaskasten gesperrt hat, um mit ihren Hackerfertigkeiten nicht weniger als die Weltherrschaft an sich zu reißen…
Einmal alles mit Sahne
Beim Plot von „Fast & Furious 9“ steht nicht (länger) im Vordergrund, eine möglichst spannende oder auch nur entfernt schlüssige Geschichte zu erzählen – stattdessen geht es vor allem darum, irgendwie alles und alle unterzubringen, ohne dass die behelfsmäßig zusammengeschweißte Kiste schon auf den ersten Metern scheppernd auseinanderbricht. In acht Filmen hat sich eben eine Menge erzählerischer Ballast angehäuft, den die Macher offenbar nicht mehr abstreifen können oder wollen – und dazu kommt dann auch noch der Fanservice, über den man sich als langjähriger Begleiter der Reihe zwar im Einzelfall freut, der hier aber etwa gleich die fast komplette Belegschaft aus „“ wieder zurück in den Cast spült. Man kann sich auch an seinem Lieblingseis überfressen.
Da muss dann jede Minute der zweieinhalbstündigen Laufzeit voll ausgenutzt werden, um alles unterzukriegen. So kommen zwar beim ersten Auftritt der zurückkehrenden „“-Bösewichtin Cypher sofort Erinnerungen an Hannibal Lecter und „Das Schweigen der Lämmer“ hoch – aber während die Computerexpertin geheimnisvoll und gefährlich wie eine Raubkatze mit einem IQ von 180 durch ihren gläsernen Käfig schleicht, schreibt ihr das Skript vor, zur Begrüßung erst einmal ebenso unmotiviert wie ausführlich den Plot des Films zu erklären. Das gelingt nicht mal Oscargewinnerin Charlize Theron („Monster“), ohne dass die mysteriöse Aura ihrer Superverbrecherin zumindest den einen oder anderen Kratzer abbekommen würde.
Während hierzulande über eine Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h diskutiert wird, rasen Dom & sein Team selbst der Explosion von Landminen einfach so davon.
Natürlich gibt es auch Rückkehrer, die in ihren kurzen Gastspielen prächtig abliefern. So nimmt Dom in „Fast & Furious 9“ tatsächlich gleich zwei Mal auf dem Beifahrersitz einer Frau Platz. Eine davon ist Helen Mirren, deren ungebremste Begeisterung, in der Innenstadt von London mit einem hochgetunten Luxussportwagen vor der Polizei zu flüchten, sich als hochgradig ansteckend erweist. Und trotzdem: Wenn Dom und die Mitglieder seiner Crew mal zusammenkommen, zieht der Film zu selten Kapital aus der über viele Jahre hinweg gewachsenen Chemie zwischen den Darsteller*innen, weil stattdessen zu viel Zeit dafür draufgeht, den nächsten Schritt des ohnehin eher quatschigen Plans durchzukauen.
Und an dieser Stelle haben wir noch nicht mal erwähnt, dass nebenbei in Rückblenden auch noch die Geschichte von Dom (als Teenager: Vinnie Bennett), Jacob (Finn Cole) und ihrem bei einem NASCAR-Unfall getöteten Vater Jack (JD Pardo) erzählt wird. Das nicht sonderlich kreative Motiv für Jacobs Wechsel auf die „dunkle Seite“: Er will nach all den Jahren endlich aus dem Schatten seines verhassten älteren Bruders heraustreten! Das Problem dabei: John Cena macht als eiskalt-effektiver Klotz einfach keine besonders bedrohliche Figur. Der Ex-WWE-Star braucht immer auch ein gewisses ironisches Augenzwinkern, um seine eigentlichen Stärken und sein trockenes Charisma voll ausspielen zu können (wie etwa als Peacemaker im kommenden „The Suicide Squad“).
Das Gimmick der Wahl: Magnete!
Aber es zählt ja zu den ungeschriebenen Gesetzen der Reihe, dass die meisten Gegenspieler irgendwann die Seiten wechseln und fortan in Doms Team mitmischen (siehe etwaDwayne Johnson als Hobbs oderJason Statham als Shaw). Wenn es dazu auch im Fall von Jacob kommen sollte, würde das sicherlich auch John Cenas Performance massiv zugutekommen. Keine Unterstützung brauchen hingegen die Action-Choreographen der Reihe, die sich (und ihren Autos) inzwischen offenbar wirklich alles zutrauen: Gleich im ersten gewaltigen Setpiece im Dschungel rasen Dom und Co. erst durch ein Minenfeld, wo sie den Explosionen schlicht durch pure Schnelligkeit entgehen, nur um dann an einer bereits in die Tiefe stürzenden Hängebrücke hoch (!) zu fahren.
Da sind wir dann endgültig auf dem physikalischen Niveau eines Roadrunner-Cartoons angekommen – und das Ergebnis ist glorreich deppert und megamäßig unterhaltsam. Wenn man speziell diese naturgesetzaushebelnde Seite der Reihe mag, wird man in „Fast & Furious 9“ voll auf seine Kosten kommen – zumal sich die Köpfe der Reihe diesmal ein Gimmick ausgesucht haben, das im ersten Moment vielleicht ein wenig öde klingt, aber massenhaft großartig-epische Gaga-Momente ermöglicht: Supermagnete, mit denen sich Boliden anziehen und auch wieder abstoßen / wegschleudern lassen. In viele dieser Action-Einfälle ist gefühlt mehr kreative Energie geflossen als in alle Dialoge zusammen – die Prioritäten stimmen also und selbst ein Abstecher ins All wirkt da plötzlich wie das Normalste von der Welt.
Fazit: Die Action sagt den Gesetzen der Physik endgültig Ade, macht aber nichtsdestotrotz immer noch mächtig Laune. Abgesehen davon ist „Fast & Furious 9“ trotz vieler toller Momente aber insgesamt zu überladen, um an das durchgängig rasante Tempo der besten Filme der Reihe anzuknüpfen.
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